Chemnitz,

Eine ganz normale Übung. Oder?

Interkulturelle Kompetenz im Einsatz war das Thema einer Pilotübung des Vielfalt-Projektes „Tolerant – Hilfsbereit – Weltoffen“ im Landesverband Sachsen, Thüringen. Denn wenn helfende und betroffene Menschen unterschiedlichen Gruppen angehören, kann es für die Einsatzkräfte zusätzlichen Stress verursachen.

Am Freitag, den 27.04.2018, um 23.00 Uhr wurde eine Gasexplosion im Keller des Hauses Am Regenbogen Nr. 5 festgestellt. Dadurch sind erhebliche Gebäudeschäden am Wohnblock entstanden. Die Struktur des Hauses ist als Neubau aus den 1990er Jahren zu bezeichnen. Im Wohnhaus selbst befinden sich vier Wohnungen, ein ausgebautes Dachgeschoss sowie ein Kellergeschoss. Die Versorgungsleitungen im Keller wurden durch die Explosion beschädigt. Aus den Versorgungsleitungen tritt Gas und Wasser aus. Die Stadt- und Wasserwerke wurden informiert und konnten den Austritt der Medien vorerst stoppen.

Das ist das Szenario der Übung „Regenbogen“, die am vergangenen Samstag auf dem THW-Übungsgelände in Chemnitz stattgefunden hat. Bergung aus Höhen, Leiterhebel, Vermisstensuche und Erste-Hilfe waren einige der Übungselemente, die die Kameraden aus dem Ortsverband Leipzig zu lösen hatten. Scheinbar eine ganz normale THW-Ausbildungseinheit für den Zugtrupp, 1. und 2. Bergungsgruppe, deren fachlich-technischen Ziele klar und eindeutig waren.

„Wo ist der Marc?“

Doch einige der Einspielungen, die die Übungsleitung des Landesverbandes Sachsen, Thüringen vorbereitet hatten, unterschieden sich schon deutlich von den üblichen und erwarteten Aufgaben. So war schnell klar, dass zwei der vermissten Personen – dargestellt von Kameraden aus dem THW-Ortsverband Magdeburg, perfekt geschminkt vom DRK Chemnitz - der deutschen Sprache nicht mächtig waren. Was bedeutet das im konkreten Einsatzfall für die Hilfsmaßnahmen? Wie gehen die THW-Kräfte damit um, dass keine gewohnte Kommunikation möglich ist?

Weitere Einspielungen waren mit dem Ziel konzipiert, die Einsatzkräfte mit unerwarteten Situationen von der eigentlichen Aufgabe abzuhalten und neue, THW-untypische Herausforderungen zu schaffen. So war eine verwirrte Person auf der Suche nach Marc, ein ausländischer Journalist verschaffte sich in Begleitung seines Fotografens unerlaubt Zutritt zum Gelände.

Beide Schiedsrichtergruppen – der Ortsverband Erfurt hatte die fachlich-technische Beurteilung übernommen, Wissenschaftler der Universität Greifswald die Aspekte der interkulturellen Kompetenz im Einsatz – waren sich einig, dass die Übungsteilnehmer aus dem Ortsverband Leipzig alle Bereiche der Übung erfolgreich abgearbeitet haben und die gestellten Aufgaben sowohl THW-seitig als auch im Bereich der interkulturellen Einsatzkompetenz im konstruktiven Miteinander gelöst haben.

Rettung, Hilfe und Kultur

Doch warum haben sich der Landesverband Sachsen, Thüringen und sein Partner, das Netzwerk für Demokratie und Courage, für eine derartige Übung entschieden? Die gesellschaftlichen Veränderungen sind vielfältig und machen auch vor dem THW nicht Halt. Und so stellt sich die Frage, was diese geänderten Rahmenbedingungen für das THW und seine Einsatzkräfte bedeuten. Immer häufiger kommen die THW-Kräfte aus anderen Lebenswelten als die Betroffenen. Das heißt, dass die Unterschiede (z.B. Alter, soziale Herkunft, Sprache, soziales Umfeld) zwischen ihnen sehr groß sein können. Diese sog. soziokulturelle Fremdheit kann die Handlungssicherheit im Einsatzfall senken und damit als Stressfaktor wirken, der sich negativ auf die Qualität der Hilfsmaßnahmen auswirken kann. Stärkung der interkulturellen Kompetenz kann daher mehr Handlungssicherheit, weniger Stress im Einsatz und letztendlich eine Qualitätssteigerung bedeuten. Dieses Thema ist Forschungsschwerpunkt an der Universität Greifswald. Hier wird seit einigen Jahren unter der Überschrift „Rettung, Hilfe und Kultur“ zur interkulturellen Kompetenz im Einsatz geforscht. Die Ergebnisse werden in Kürze als Handbuch veröffentlicht und werden auch in Ausbildungseinheiten an der THW-Bundesschule einfließen.


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